Der Schlussbericht der von der Kirche in Auftrag gegebenen unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche Schweiz der Universität Zürich zeigt die grundlegenden Mechanismen der Kirche, die Missbrauch begünstigt und gefördert haben. Und sie benennt den Handlungsbedarf für die weitere Aufarbeitung.
Am 12. September 2023 wurde der Schlussbericht des einjährigen Pilotprojekts veröffentlicht. Er klärt erste grundlegende Fragen: Welche Missbrauchs-relevanten Akten sind in den kirchlichen Archiven vorhanden? Wie wurde und wird mit diesen Akten umgegangen? Was ist ihnen zu entnehmen? Welche anderen Quellen gibt es?
Unzählige Menschen haben im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen im Umfeld der römisch-katholischen Kirche grosses Leid erlitten. Die wissenschaftliche Erforschung ist in erster Linie den Missbrauchs-Betroffenen geschuldet – auch um daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, systemische Mängel zu benennen und anzugehen, die sexuellen Missbrauch in der Kirche begünstigen, vertuschen oder fördern.
Wie Bischof Joseph Bonnemain sagt: «Die Konfrontation mit einem ungeschönten und unabhängigen Bild der Vergangenheit ist dringend notwendig. Nur so werden wir auf individueller und struktureller Ebene lernen, sexuellen Missbrauch in der Seelsorge künftig zu verhindern und uns der Fehlbarkeit der Kirche beziehungsweise ihrer Amtsträger zu stellen.»
Damit will die Kirche ihre Verantwortung gegenüber den Betroffenen und der Gesellschaft wahrnehmen und ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten. Zentrales Anliegen ist, den Missbrauch in den eigenen Reihen und dessen Ursachen noch entschiedener zu bekämpfen und weitere Opfer zu verhindern.
Die Stellungnahme der drei Auftraggeberinnen – SBK, RKZ und KOVOS – lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die Studie zeigt das Versagen der Kirche im Umgang mit Missbrauch.
Kirchliche Führungspersonen haben verantwortungslos gehandelt, Betroffene nicht ernst genommen, Täter geschützt. Sogar mehrfach verurteilte Täter wurden versetzt und damit weitere Verbrechen in Kauf genommen. Dieser Schuld stellen wir uns und übernehmen Verantwortung. Das bedeutet, dass wir alles tun werden, um die Risiken für Missbräuche zu minimieren und deren Vertuschung künftig zu unterbinden.
2. Nun braucht es Hinschauen, Hinhören und Handeln.
Wir haben Massnahmen auf nationaler Ebene beschlossen, um Missbrauch künftig noch entschiedener zu bekämpfen. Wir schaffen in der ganzen Schweiz unabhängige Meldestellen, damit Missbräuche leichter gemeldet und schnell die notwendigen Schritte eingeleitet werden können. Künftig prüfen wir angehende kirchliche Mitarbeitende kritischer als bisher auf ihre Eignung. Das Personalwesen wird professionalisiert und die Vernichtung von Akten unterbunden.
3. Damit sich wirklich etwas ändert, müssen wir grundlegende Mechanismen der Kirche angehen.
Massnahmen einzelner kirchlicher Organisationen reichen nicht aus. Wir müssen anerkennen, dass grundlegende Mechanismen der Kirche den Missbrauch in diesem Ausmass überhaupt ermöglicht haben. Diese Mechanismen müssen wir angehen. Dazu gehören die Machtfrage, die Sexualmoral, das Priester- und das Frauenbild sowie die Ausbildungs- und Personalpolitik.
«Es steht der Kirche nicht an, Straftaten selbst zu ahnden», sagt Luc Humbel, Präsident des Kirchenrats der Aargauer Landeskirche. Er ist mit seinen Gedanken bei den Opfern. Luc Humbel ist froh, dass die Pilotstudie zum Missbrauch in der katholischen Kirche nicht in deren Machtbereich ermöglicht wurde. Das kanonische Recht sei in Bezug auf Straftaten nicht auf der Höhe der Zeit. Das staatliche Recht gehe immer vor. Lesen Sie hier das ganze Interview
Rückblick auf die Medienkonferenz vom 12. September 2023
Medienunterlagen der Universität Zürich:
Das Pilotprojekt ist Teil der Auseinandersetzung mit der Thematik des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Kontext, die Anfang des 21. Jahrhunderts begonnen hat und seitdem immer wichtiger wird. Einige Orden und Institute in der Schweiz haben die Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen bereits untersucht.
Mehr zum aktuellen Stand der Aufarbeitung
Ende Juni 2023 haben SBK, RKZ und KOVOS zudem entschieden, die unabhängige historische Erforschung in einem dreijährigen Folgeprojekt 2024–2026 zu vertiefen. Damit will die Kirche ihre Verantwortung gegenüber den Betroffenen und der Gesellschaft wahrnehmen und ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten. Zentrales Anliegen ist, den Missbrauch in den eigenen Reihen und dessen Ursachen noch entschiedener zu bekämpfen und weitere Opfer zu verhindern.
Teilnahme am weiterführenden Forschungsprojekt
Wer bereit ist, im Rahmen des weiterführenden Forschungsprojekts 2024–2026 der Uni Zürich über sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche zu berichten, meldet sich bitte per E-Mail an forschung-missbrauch@hist.uzh.ch
Hier finden Betroffene von sexuellem Missbrauch eine Übersicht kirchlicher und unabhängiger Anlaufstellen, durch die sie in der Schweiz Unterstützung erhalten.
Merkblatt der Landeskirche Aargau «Sexuelle Übergriffe in der kirchlichen Arbeit: Prävention und Intervention» (PDF)
In seiner Stellungnahme nimmt der Vorstand der Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld (IG MikU) mit Freude zur Kenntnis, dass die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und die Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens (KOVOS) grünes Licht gegeben haben, der Pilotstudie ein dreijähriges Folgeprojekt zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche folgen zu lassen. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung und ein Zeichen dafür, dass die Verantwortungsträger die Notwendigkeit erkannt haben, aufzudecken, wieviel Leid kirchliche Mitarbeitende verursacht haben. Unserer mehrmals geäusserten Forderung «Den Worten müssen Taten folgen» wird mit dem Folgeprojekt entsprochen.